Thermische Analyse in der Pharmazeutischen Industrie

Keywords: TGA, Sorptionsanalyse, Thermische Analyse, Pharma, Schmelze, Kristallisation, Thermische Stabilität, Kompatibilität, Glasübergang, Hygroskopie, Feuchte, Benetzung, Trocknung

TA484-DE

Abstract

Der Umsatz auf dem deutschen Pharmamarkt belief sich 2022 auf rund 56,5 Milliarden Euro. Damit ist das Volumen des Arzneimittelmarktes in Deutschland in den letzten fünfzehn Jahren mehr als verdoppelt. Somit ist Deutschland der größte pharmazeutische Markt in Europa.1 Die pharmazeutische Industrie ist damit ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und wichtiger Arbeitgeber in Deutschland. Für die Arzneimittelhersteller bestehen Richtlinien für die Kontrolle von Anlagen und Methoden, die im Rahmen der Verarbeitung, Herstellung und Verpackung eines Arzneimittelprodukts angewendet werden. Sorgfältiges Monitoring der Prozesse ist vorgegeben. Diese Aufgabe erfordert vielfältige Untersuchungsmethoden und Kontrollen.

Beschreibung

Um die gleichbleibende Qualität der Produkte sicherzustellen, müssen zum einen die Rohmaterialien für die vielfältigen Produkte im Rahmen der Wareneingangskontrolle und auch die Produkte selbst kontrolliert und analysiert werden. Zum anderen gibt es vielfältige Aufgaben in der Forschung und Entwicklung neuer Wirkstoffe und Produkte.

Bei neuen Wirkstoffen wird unterschieden zwischen

  • Chemisch definierten Stoffen
  • Materialien auf Basis von Naturprodukte
  • Biopharmazeutika
  • Analogen Wirkstoffe (Modifikation von bekannten Wirkstoffen)

In der pharmazeutischen Entwicklung ist man immer auf der Suche nach

  • Neuen Dosierungsformen und Kombination von Wirkstoffen
  • Ausweitungsmöglichkeiten des Anwendungsgebietes
  • Verbesserungen des Produktionsablaufs (Energieeinsparung)

Hierzu werden möglichst schnelle und einfache Methoden zur Charakterisierung benötigt. Die Thermische Analyse bietet unter anderem mit den Methoden

Dieser Applikationsbericht gibt eine Übersicht über die verschiedenen Techniken und zeigt auf, welche Werte bzw. Informationen die Methoden für pharmazeutische Proben liefern können.

Methoden Der Thermischen Analyse

Thermogravimetrische Analyse (TGA)

Die TGA bestimmt die Masseänderung einer Probe, während diese in kontrollierter Atmosphäre aufgeheizt oder isotherm gehalten wird. Ein TGA System besteht immer aus den Hauptbauteilen Wägesystem, Ofen und einer Einrichtung zur Einstellung kontrollierter Atmosphäre. Temperatur und Masse werden erfasst. Wird ein Material aufgeheizt, zeigen die meisten Proben einen Masseverlust. Seltener sieht man eine Massezunahme aufgrund von Oxidation unter Sauerstoffeinfluss.

Bild 1 Mögliche Ursachen von Masseverlust beim Erhitzen
Bild 1 Mögliche Ursachen von Masseverlust beim Erhitzen

Eine TGA Analyse kann folgende Informationen liefern

  • Verlust von flüchtigen Anteilen – Wasser oder Lösungsmittelrückstände
  • Thermische Stabilität von Materialien
  • Oxidative Stabilität von Materialien
  • Quantitative Zusammensetzung von Mehrkomponenten Systemen
  • Information zur Zersetzungskinetik
  • Erwartete Lebensdauer

Informationen über die Materialstabilität sind wichtig, denn Änderungen über der Zeit können die Endprodukteigenschaften ändern, Zersetzungsprodukte können Gesundheit und Umwelt schaden und die erwartete Lagerzeit wird reduziert.

Bild 2 Thermogravimetrischer Analysator TA Instruments™
Bild 2 Thermogravimetrischer Analysator TA Instruments™

Bild 3 zeigt exemplarisch die TGA Kurve einer Allergietablette. Aufgetragen wird bei einer TGA Messung typischerweise die Masse (in %) über der Temperatur (in °C), das Ableitungssignal (blau) liefert als zusätzliche Information die Temperatur höchster Reaktionsrate im Maximum. Die Minima der Ableitung (geringste Reaktionsrate zwischen zwei Effekten) werden zur Bestimmung der Auswertegrenzen von zwei aufeinanderfolgenden Stufen genutzt.

Die Kurve zeigt zunächst den Verlust von Feuchtigkeit, es folgt die mehrstufige Zersetzung.

Es ist möglich ein TGA System mit einer Gasanalyse (wie MS/FTIR/GC-MS) zu koppeln. Die austretenden Gase werden mit dem Spülgasstrom in die Gasanalytik überführt, so dass flüchtige Anteile und Zersetzungsprodukte qualitativ identifiziert werden können.

Da die Systeme über ein Triggersignal zeitgleich gestartet werden können, können die Daten auf Zeitbasis gemeinsam aufgetragen werden.

Bild 4 zeigt exemplarisch die Überlagerung der TGA Kurve mit den im Massenspektrometer detektierten Massen 18, 36 und 43. So können die verschiedenen Abbaustufen den Lösungsmitteln zugeordnet werden.

Bild 3 TGA Analyse einer Allergietablette
Bild 3 TGA Analyse einer Allergietablette
Bild 4 TGA-MS Analyse zur Charakterisierung von Lösungsmitteln
Bild 4 TGA-MS Analyse zur Charakterisierung von Lösungsmitteln

Sorptionsanalyse (SA)

Ein Dynamischer Sorptionsanalysator (Dynamic Vapor Sorption Analyzer DVS) wird verwendet, um die Masseänderung unter Wasser (Dampf/Relative Luftfeuchte) zu bestimmen. Charakterisiert werden können

  • Adsorption (Massezunahme)
  • Desorption (Masseverlust)

Die Bestimmung der Masseänderung findet in Abhängigkeit von der relative Luftfeuchte (RH) und der Temperatur (T) statt. Das Discovery™ SA verwendet anstelle des Ofens der TGA eine Doppelfeuchtekammer die im Bereich von 5-85 °C eingesetzt werden kann. Durch die Mischung eines trockenen und eines feuchten Gasstroms kann relative Feuchtigkeit von 0-98 % eingestellt werden.

So können unterschiedliche Interaktionen mit Wasser analysiert werden:

  • Benetzung
  • Trocknung
  • Hygroskopie
  • Hydrothermale Stabilität
  • Hydratformationen
  • Feuchte induzierte Strukturänderungen
Bild 5 Discovery SA TA Instruments mit Doppelfeuchtekammer
Bild 5 Discovery SA TA Instruments mit Doppelfeuchtekammer

Der Feuchtigkeitsgehalt von festen Darreichungsformen ist einer der Hauptfaktoren, die die Stabilität beeinflussen.

Die Wasserdampfsorption hängt von der Struktur des Materials ab. Chemisch gleiches Material nimmt normalerweise mehr Wasser auf, wenn es sich in einem amorphen Zustand befindet, verglichen mit der kristallinen Struktur.

Die Wassersorption kann die Glasübergangstemperatur deutlich erniedrigen und unerwünschte (Re-) Kristallisation initiieren. Die physikalischen Eigenschaften der amorphen und der kristallinen Phase sind sehr unterschiedlich und können verschiedene Produkteigenschaften beeinflussen

  • Mechanische (Schüttverhalten)
  • Physikalische (Löslichkeit)
  • Chemische (Stabilität)
  • Pharmakologische (Bioverfügbarkeit)

Die Sorptionsanalyse wird z.B. verwendet, um zu bestimmen, bei welchen RH- und T-Bedingungen ein Material kristallisiert. Die in Bild 6 gezeigte amorphe Lactose Probe nimmt bei 25 °C oberhalb des Glasübergangs vermehrt Wasser auf, was zu einer Umkristallisation führt. Die Information ist wichtig, um Lager- und Transportbedingungen festzulegen.

Bild 6 Wassersorption amorpher Lactose
Bild 6 Wassersorption amorpher Lactose

Dynamische Differenzkalorimetrie (DSC)

Die DSC bestimmt den Wärmestrom, der während eines Effekts freigesetzt oder aufgenommen wird als Funktion der Zeit, Temperatur und Atmosphäre. Es wird immer gegen eine Referenz (meist leerer Tiegel) gemessen.

Als Probengefäß dienen offene, geschlossene oder hermetisch verschlossene Tiegel, am häufigsten werden Aluminiumtiegel eingesetzt.

Die Messung kann im Heiz- oder Kühllauf oder isotherm durchgeführt werden, daher wird das DSC System typischerweise mit einem Kühler (Kompressorkühler oder Flüssigstickstoff) kombiniert.

Der Wärmestrom zeigt

  • Phasen oder Strukturänderungen
  • Chemische Reaktionen und physikalische Interaktionen

Mittels DSC können interessante Materialkennwerte bestimmt werden, z.B.

  • Schmelztemperatur
  • Schmelzenthalpie
  • Glasübergangstemperatur
  • Einfluss von Kühlrate und Lagerung auf die Ausbildung der amorphen und der kristallinen Phase
  • Reinheitsbestimmung
  • Kompatibilität
  • Polymorphie
  • Denaturierung
Bild 7 DSC Messzelle
Bild 7 DSC Messzelle

Kompatibilität

Am Beispiel Magnesiumstearat, dies wird häufig als Schmiermittel in der pharmazeutischen Tablettenherstellung verwendet, wird in Bild 8 und 9 ein Beispiel zur Kompatibilitätsprüfung mittels DSC gezeigt. Die Inkompatibilität zwischen einer der Komponenten kann die Haltbarkeit oder Wirksamkeit beeinträchtigen

Eine Bestimmung der Einzelkomponeten im Vergleich zu einer Mischung der Komponenten kann hierüber Auskunft geben.

Bild 8 zeigt den Vergleich der 50/50-Mischung aus Aspirin und Magnesiumstearat mit den reinen Materialien. Die Einzelkomponenten zeigen jeweils einen endothermen Schmelzpeak. Bei einer Kompatibilität würde die Mischung zwei Schmelzpeaks mit anteiliger Größe im gleichen Temperaturfenster zeigen. Die Mischung zeigt jedoch bei deutlich geringerer Temperatur bereits zwei endotherme Effekte – dies ist ein klarer Hinweis auf Inkompatibilität.

Um auch bei Raumtemperatur, bzw. unterhalb der Schmelze zu prüfen, ob Materialien kompatibel sind, kann anstelle des Wärmestroms die Wärmekapazität der Materialien als Einzelsubstanz und im Vergleich als Mischung bestimmt werden.

Hier bietet die Modulierte DSC™ (MDSC™) große Vorteile: Diese Technik, bei der eine sinusförmige Temperaturschwingung aufgegeben wird, erlaubt die isotherme Bestimmung der Wärmekapazität (Cp). Bild 9 zeigt die stabilen Wärmekapazitätskurven der Einzelsubstanzen aufgenommen über der Zeit bei 50 °C. Anders die Mischung: Die Wärmekapazität steigt mit der Zeit an, eine Inkompatibilität ist somit nachgewiesen.

Bild 8 Kompatibilitätsprüfung mittels DSC
Bild 8 Kompatibilitätsprüfung mittels DSC
Bild 9 Quasi-isotherme Cp Bestimmung zur Prüfung der Kompatibilität
Bild 9 Quasi-isotherme Cp Bestimmung zur Prüfung der Kompatibilität

Glasübergang

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bestimmung des Glasübergang mittels DSC: Der Anteil der amorphen Phase eines pharmazeutischen Wirkstoffs oder Produkts hat Einfluss auf die Tablettierbarkeit, die Löslichkeit und damit auf die Freisetzungsrate und Bioverfügbarkeit. Bei amorphen oder teilamorphen Substanzen besteht das Risiko der Rekristallisation aufgrund ihrer thermodynamischen Instabilität.

Durch den Einfluss der Luftfeuchtigkeit kann die Glasübergangstemperatur unter die Umgebungstemperatur absinken, was möglicherweise die Kristallisation induziert. Durch eine Kristallisation kann es zur Bildung polymorpher Modifikationen oder auch von Hydraten kommen, Agglomeration können sich bilden.

Durch Absorption von Feuchtigkeit kann können sich die physikalischen Eigenschaften der Arzneiform ändern.

Der Glasübergang tritt im DSC Signal als stufenförmige Erhöhung auf, von Interesse ist die Temperaturlage, da sich hier die Eigenschaften ändern und die Stufenhöhe, die eine Aussage zum amorphen Anteil machen kann.

Bild 10 Typischer Glasübergang bestimmt mittels DSC
Bild 10 Typischer Glasübergang bestimmt mittels DSC

Zusammenfassung

Die Thermische Analyse bietet mit den Methoden TGA, SA und DSC vielfältige Möglichkeiten, Materialeigenschaften von pharmazeutischen Wirkstoffen, Trägermaterialien und Endprodukten zu bestimmen. Die Methoden benötigen nur wenig Material, was gerade im Bereich der Forschung von Vorteil ist, wenn nur wenig Masse zur Verfügung steht. Bei den Methoden DSC und TGA handelt es sich – im Vergleich zur anderen Methoden – um relativ schnelle Messtechniken. In kurzer Messzeit können wichtige Probeninformationen gewonnen werden.

Acknowledgements

Für weitere Informationen oder Angebote zu unseren Produkten besuchen Sie unsere Internetseite www.tainstruments.com oder kontaktieren Sie Ihre lokale Niederlassung.

Dieser Artikel wurde verfasst von Monika Schennen

TA Instruments, Modulierte DSC, MDSC und Discovery sind Marken der Waters Corporation.

Referenz

  1. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/158096/umfrage/pharma-gesamtmarkt-umsatzentwicklung-seit-2006

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