Rheologie, kinderleicht gemacht
Jennifer Vail | Mark Staub | Morgan Ulrich
14. März 2024
Ich liebe es, in der Küche zu experimentieren, besonders wenn es um Backen und Desserts geht. Zur Feier des Pi-Tages bringen wir Wissenschaft und Experimente in die Küche – mit einem Mürbeteig und Füllungen … und einem Rheometer.
Wenn Sie oft Kuchen backen, wissen Sie, dass die Temperatur für den Teig entscheidend ist, insbesondere wenn Butter verwendet wird. Kalte Butter führt zu blättrigen Schichten, denn wenn kalte Butter auf einen warmen Ofen trifft, erhitzt sie sich, gibt Dampf ab und erzeugt Lufteinschlüsse, die zu einer zarten, perfekten Kruste führen. Zu weiche Butter vor dem Backen führt zu einer harten Kruste, sodass der Kuchen nicht wirklich lecker ist. In den meisten Rezepten wird davor gewarnt, den Teig wärmer als 22 °C werden zu lassen. Wenn Ihr Backofen Ihre Küche auf fast 30 °C aufheizt, ist also Vorsicht geboten, wenn es um die Butter geht.
Allerdings kann auch ein kalter Teig problematisch sein. Wenn der Teig kälter als die Zimmertemperatur ist, wird er spröde und reißt beim Ausrollen. Aus diesem Grund wird in Rezepten empfohlen, den Teig eine kurze Zeit bei Zimmertemperatur ruhen zu lassen, damit der Teig vor dem Formen und Backen nicht zu heiß oder zu kalt ist.
Da wir Wissenschaftler sind, wollen wir uns mithilfe eines Rheometers einmal ansehen, was mit einem Mürbeteig und einer Himbeerfüllung beim Zubereiten und Backen tatsächlich passiert. Rheometer messen die Fließeigenschaften von Materialien und zeigen, wie sich unterschiedliche Bedingungen auf Eigenschaften wie Steifigkeit und Fließfähigkeit auswirken können.
Dehnungs-Durchläufe
Dehnungs- bzw. Amplituden-Durchläufe (Sweeps) werden verwendet, um die Verformung viskoelastischer Werkstoffe zu charakterisieren. Die physikalischen Eigenschaften der meisten viskoelastischen Werkstoffe sind bis zu einer kritischen Dehnungsgrenze dehnungsunabhängig. Der Bereich unterhalb dieser kritischen Grenze wird als linearer viskoelastischer Bereich (Linear Viscoelastic Region, LVR) bezeichnet, und Spannung weist eine eindeutige lineare Beziehung zur Dehnung auf. Oberhalb dieser kritischen Dehnungsgrenze ist das Werkstoffverhalten nichtlinear und der Speichermodul nimmt ab.
Für die Kuchenkruste bedeutet das, dass Sie die kritische Dehnungsgrenze überschritten haben, die durch den linearen viskoelastischen Bereich bestimmt wird, wenn allmählich Risse im ausgerollten Teig zu sehen sind. Der Speichermodul und der Verlustmodul des Teigs nehmen mit der Temperatur ab, wodurch der Teig geschmeidiger wird. Aus diesem Grund kann aufgetauter Teig intensiver bearbeitet werden, ohne spröde zu werden und zu reißen. Wenn Sie den Teig auf Zimmertemperatur bringen, benötigen Sie viel mehr Kraft in Ihrem Nudelholz, um diese kritische Dehnungsgrenze zu erreichen, sodass Risse entstehen.
Wenn die kritische Dehnung der Kuchenfüllung überschritten wird, wird die Struktur zerstört. Natürlich passiert das spätestens beim Essen des Kuchens, in der Regel soll die Füllung aber vorher stabil bleiben.
Frequenzdurchläufe
Frequenzdurchläufe testen Proben über einen Bereich von Oszillationsfrequenzen bei konstanter Oszillationsamplitude und Temperatur. Der Frequenzdurchlauf unserer Kuchenkruste zeigt, dass die Kruste bei niedrigeren Temperaturen „steifer“ ist und einen höheren Speichermodul aufweist. Daher kann der Teig bei der Kuchenzubereitung leichter brechen. Aus diesem Grund steht im Rezept und in der Packungsanleitung, den Kuchenboden vor dem Ausrollen und Formen immer auf Zimmertemperatur kommen zu lassen.
Die Himbeerfüllung zeigt einen ähnlichen Trend im Frequenzdurchlauf, ihr Verlustmodul ist jedoch aufgrund ihrer schwachen Struktur viel niedriger.
Fließtemperaturerhöhung
Fließtemperaturerhöhungen werden verwendet, um die Viskositätsänderung aufgrund von Temperaturänderungen zu messen. Bei uns zeigt die Fließtemperaturerhöhung, dass die Kuchenfüllung bei niedrigen Temperaturen eine viel höhere Viskosität aufweist, das heißt, sie hat eine dickere Konsistenz. Allerdings sinkt die Viskosität beim Erhitzen der Füllung und zwischen 10 °C und 35 °C wird sie klebriger.
Ab 40 °C hat die Viskosität dann ein Plateau erreicht, und der Flüssigkeitsgrad der Füllung erhöht sich nicht mehr. Dieses Verhalten ist auf Verdickungsmittel im Kuchen zurückzuführen. Dadurch kann man einen dampfend heißen Kuchen anschneiden, ohne dass die Füllung herausläuft.
Ein süßes Stück Rheologie
Backrezepte und ihre Resultate machen viel mehr Sinn, wenn man sie unter dem Aspekt der Rheologie betrachtet. Durch sorgfältiges Auftauen des Kuchenbodens gelangt er von seinem spröden, kalten Zustand zu einer formbareren Konsistenz, ohne dass die Butter schmilzt. Und die Füllung enthält Maisstärke und andere Verdickungsmittel, die auch bei hohen Temperaturen ihre Viskosität behalten. Pi mag irrational sein, aber unsere Lieblingskuchenrezepte erscheinen noch logischer, wenn sie rheologisch betrachtet werden.
Sonstige Ressourcen
- Anwendungshinweis – Determine Viscoelasticity and Spreadability of Cream Cheese (Bestimmung der Viskoelastizität und Streichfähigkeit von Frischkäse)
- Anwendungshinweis – Exploring the Viscoelastic Properties of Cheese Using a Rheometer (Untersuchung der viskoelastischen Eigenschaften von Käse mit einem Rheometer)
- Anwendungshinweis – Evaluation of Foods with Reduced Fat Content (Analyse von Lebensmitteln mit reduziertem Fettgehalt)
- Anwendungshinweis – Rheological Characterization of Yogurt (Rheologische Charakterisierung von Joghurt)
- Anwendungshinweis – Analysis of Cheddar and Mozzarella Cheese by TGA and DSC (Analyse von Cheddar- und Mozzarella-Käse durch TGA und DSC)
- Anwendungshinweis – Examination of Roasted Coffee Beans Using TGA (Untersuchung gerösteter Kaffeebohnen mittels TGA)